Text: Götz Paschen / Fotos: EMMA-Sottrum
Sottrum ist bekannt für seine Schneedödelmonumente! Sieben Künstler haben sich dieser Form vergänglichen Plastizierens verschrieben und bedauern nun den fehlenden Schnee. Wir sprachen mit zweien von ihnen. Ernst Bärlauch: „Eine Wiederholung unseres Kunstwerkes ist wegen des Klimawandels unmöglich.“ Schnee als Rohstoff ist vergänglich wie jede Erektion. Aber in der Nacht von Samstag, dem 14. auf Sonntag, den 15. Januar 2017 vor Mitternacht waren die Bedingungen ideal. Bärlauch: „Minus drei Grad. Aber der Schnee war noch so, dass er gut zusammenbackte.“ Nach einer guten Stunde gegen eins war das eisige Monument fertig. „Um halb neun morgens kriegten wir die Info, dass er kaputt war.“ Mit gut sieben Stunden ist das eine überdurchschnittliche Erektionsdauer. – Waren die jungen Männer zwischen Mitte 20 und Mitte 30 denn auch als Kinder begeisterte Schneemannbauer? Siggi Voß, ein weiterer Künstler der vergänglichen Masse: „Wir haben schon als Kinder Schneemänner gebaut. Aber die Bedingungen waren oft nicht optimal. In Norddeutschland ist Schnee in der Menge etwas Besonderes.“ Sie erinnern sich an gute Winter, wie zum Beispiel den von 2010. Bärlauch: „Das sind wir mit dem Quad mit Schlauchboot und Schlitten dahinter bei Vollmond durch die Felder geheizt.“ Das Leben kann so unbeschwert sein. Wer das und Schneeschwänze haben will, muss das Klima schützen.
Schon die ‚Fettecke‘ von Joseph Beuys wurde 1986 von einem fleißigen Hausmeister einfach entfernt: Schadensersatz nach Vergleich 40.000 D-Mark für fünf Kilo Butter. Gedankenlosigkeit und mangelnder Kunstsachverstand ziehen sich als roter Faden durch die Zerstörung umfangreicher Kunstschätze bis in die Neuzeit. – Der Schneedödel, das gute Stück, wurde 2017 gleich morgens nach dem Bau auf Geheiß aus dem Rathaus umgehackt. Bärlauch: „Die obere Hälfte haben sie abgebrochen. Die untere Hälfte war an die Metallskulptur vor dem Rathaus drangeformt. Die haben sie in Ruhe gelassen. Sie wollten die Bronze schützen.“ Den Vorgänger 2013 auf der Wiese zwischen Sparkasse und VGH hat auch die Verwaltung auf dem Gewissen. Voß: „Den hat die Gemeinde mit ihrem kleinen gelben Trecker umgeschmissen und kleingehackt.“ Während Orte wie Fischerhude und Worpswede mit ihren Tourismuskonzepten Kunst zu barer Münze machen, hat Sottrum hier konzeptionell noch aufzuholen. Kunstbeflissenheit dieser Art ist an der Wieste noch nicht etabliert. Voß: „Wir wissen nicht, wer unser Schneekunstwerk umgehauen hat. Aber warum wird er nicht aus Jux noch einen Tag stehen gelassen? Die Hoffnung war, dass die Zerstörung durch die Bronze schwieriger ist. Die Hoden waren noch drei Wochen später da. Wenn Schnee so verdichtet ist, ist das ein Rieseneisklotz.“
Immerhin schaffte es Sottrum auf diese Art in die ‚Bild‘-Zeitung. Voß: „Der Bericht klebt bei mir zu Hause noch am Kühlschrank.“ Während Prüderie und Humorlosigkeit viele Schneeschwänze schon vor der Schmelze kippen lässt, erging es da einem Phallus im Osten besser. Der Schneepenis im Dresdener Stadtteil Blasewitz (nomen est omen) durfte stehen bleiben und erhielt noch einen roten Schal als Schleife. Da die ‚Bild‘ für Relevanz bekannt ist, war sie auch hier zur Stelle und zitierte 2012 Dr. Matthias Stiehler, den Chef der Dresdner AIDS-Beratungsstelle: „Das war eine spontane Idee der Stadtverwaltung. Die wollten das eisige Kunstwerk nicht gleich abreißen lassen und fragten bei uns nach, ob wir eine Idee hätten, damit Anwohner nicht gleich pikiert sind.“
Der Schneedödel 2017 hatte die beachtliche Höhe von 2 Metern 87 und einen Umfang von grob 1 Meter 37. Wer bundesweit recherchiert, wird feststellen, dass der Sottrumer Schwanz damit im Vergleich zu anderen Exemplaren weit vorne liegt. Vielleicht hätte man lieber das Guinnessbuch der Rekorde als den Bauhof anrufen sollen. Schneeschwänze können optimale Instrumente für gelungenes Stadtmarketing zum Nulltarif sein. Zur Höhe sagt Bärlauch: „Größer geht nicht. Die Stehleiter ist der limitierende Faktor. Wir waren drauf und dran ein Rollgerüst aufzubauen. Das hatten wir im Auto liegen.“ Und Voß: „Es war ein Statement gegen den Klimawandel. Wir hätten jetzt gerne drei Meter gemacht.“ – Die Bauart ist denkbar einfach: einen Maurerkübel voll und plattgestampft: „Reinschaufeln und festtreten. Wir sind zu zweit im Kreis durch den Eimer marschiert.“ Sechs Maurerkübel aufeinander ergeben dann die Höhe. Bärlauch: „Wir haben uns auch Gedanken gemacht zu Durchmesser und Höhe, aber die Proportionen müssen stimmig bleiben.“ Voß: „Der verliert ja auch einiges an Umfang, wenn man ihn formt.“ Zwischen die Elemente haben sie mit einer Gartenspritze Wasser gesprüht, das friert und für besseren Halt sorgt. Was wiegt so ein Kübel voll Schnee? Bärlauch: „Mit zwei kräftigen Männern geht das. Aber in der Höhe war es dann schon schwierig.“
Voß erinnert sich an seinen ersten Schneedödel 2007 in Hellwege. „Das war einfach Freestyle. Der erste war auch ein bisschen dreckig. Den haben wir zu dritt am Ortsschild Richtung Posthausen gebaut: 1 Meter 60 hoch. Ich habe mich gewundert, wie schnell das geht.“ Sie schauen im aktuellen Winter öfter aufs Thermometer und die Wettervorhersage, aber es sieht nicht gut aus. Bärlauch: „Standorte haben wir schon für neue Schneedödel. – Wir haben auch 2017 lange überlegt, welchen Standort wir nehmen. Am Rathaus sehen ihn viele. Der Schnee kam von Kirchplatz. Was auf dem Rathausplatz lag, hat gerade mal für die Hoden gereicht. – Wir wollten damit Aufsehen ‚erregen‘.“ Voß ist der Theoretiker der Gruppe und hat auch das Bekennerschreiben verfasst, das leider verschollen ist: „Und wir wollten ein Zeichen positiver Männlichkeit setzen.“ Direkt vor der Kirche kam aus Pietätsgründen nicht in Frage. Voß: „Vor der Sparkasse waren wir schon mal. Das Rathaus ist symbolträchtiger. Wir dachten auch, dass der Bürgermeister sich freuen würde.“ Und Bärlauch hatte die Hoffnung, dass Kunst Kunst schützt: „Die Statue sollte als Schutz dienen, dass sie sich die Bronze nicht kaputt machen wollen. Darum haben wir sie teilweise eingebaut und unten drangeformt.“
Mütze auf, Schal um, winterlich angezogen … Mit Tarnung haben sich die sieben Künstler nicht beschäftigt. Im Heimathaus war zeitgleich eine Feier. Bärlauch: „Wenn man das macht, gucken die Passanten komisch und sehen nicht, was man da baut. Die denken: ‚Das sind betrunkene Jugendliche, die bauen einen Schneemann.‘“ Das Gruppenfoto hat eine Frau aufgenommen, die ihre Tochter von einer Party abgeholt hat. ‚Da habt ihr euch einen verdient‘, sagte sie … „Wir haben gedacht, es gibt Ärger. Aber die hat Schnapsflaschen aus dem Kofferraum geholt und Plastikbecher und einen ausgegeben. Viele Autofahrer haben angehalten und uns gratuliert.“ Einer brüllte bei fahrendem Wagen aus dem Autofenster: ‚Ihr seid die Geilsten!‘
„Eine Stunde, das geht ruckzuck, maximal eineinhalb Stunden.“ Es sind immer die gleichen Aktiven bei der Sottrumer Schneedödelserie. „Mal fehlt einer, mal ist es einer mehr.“ Voß: „Das geht auch ohne Bier. ‚Das gibt es erst nachher zum ‚Anstoßen‘ beim Richtfest.“ Von der Zeit her dauerte das Ranschaffen des Schnees vom Kirchplatz am längsten. Die Formgebung ist entscheidend, das weiß jeder plastizierende Künstler. Mit Brotmesser und Maurerkellen wurde grob vorgeschabt. Die Feinarbeit lieferten die Männer von Hand. Der Schnee muss fein abgerieben werden.
Voß, der Theoretiker, hatte sich auch den Gruppennamen ‚EMMA‘ für das Bekennerschreiben ausgedacht: ‚Emanzipierte Maskulisten machen aufmerksam‘. „In Anlehnung an die Frauenzeitschrift, aber mit satirischem Charakter.“ Heute fragt er sich: „Vielleicht teilt das Rathaus unseren Humor nicht oder hatte keinen Sinn für Satire, die das Dorf bewegt und erregt. – Das Thema hat selbst die Oma von einem von uns beim Friseur besprochen.“ Die ‚Bild‘ hatte die wertvolle Rubrik ‚Leserreporter‘. „Schickst du ein Foto an Bild, damit das viel Reichweite kriegt, gibt es Honorar.“ Und: „Wir kaufen sonst nie die Bildzeitung.“ Hier war eine Ausnahme begründet.
Sollten wir den Klimawandel in den Griff bekommen, folgt jetzt schon einmal die Werkzeugliste für Nachahmer: Maurerkellen, zwei Mauererkübel, Messer, warme Handschuhe, eine Stehleiter, die Fungizidspritze für das Wasser. „Das Wasser haben wir mitgebracht. Das gehört zur Vorbereitung. Da braucht man auch nicht viel.“ Auch hier wieder ein Zeichen sichtbarer Konversion: Die Giftspritze im Dienste der Kunst anstatt zur Naturzerstörung. „Und natürlich Schneeschaufeln, um die Eimer zu befüllen.“ – Und die Eichel? Wie war das mit der Eichel? Ist das nicht ein hochsensibler Akt? Bärlauch: „Einer stand auf der Leiter, und zwei haben den Kübel gehoben.“ Voß. „Das ist wichtig, dass die Statik stimmt, dass der gut steht. Und den Schnee vorher fest pressen.“ Das ist auch eine Frage der Sicherheit.
Handelt es sich hier um Sachbeschädigung oder Erregung öffentlichen Ärgernisses. Was, wenn der Schneedödel in die Frontscheibe vom Rathauseingang gekippt wäre? Voß: „Das haben wir ausgemessen. Der hätte nicht ins Rathausfenster reinkippen können. Die Standsicherheit der Skulptur limitiert die Höhe. Alles was Schaden verursacht, findet nicht statt.“ Das auch zur Standortwahl. „Es sollen immer öffentliche Plätze sein, dass sich da keiner angegriffen fühlt. – Maximal ist das Erregung öffentlichen Ärgernisses. Aber hier stellt sich die Frage: Was ist Kunst? Und wo ist die Grenze? – Es ist ein Symbol und keine Handlung. Ich wette, das Verfahren wäre eingestellt worden.“
Was motiviert einen, nachts um zwölf, einen Schneedödel vor dem Rathaus zu bauen? Voß, der Theoretiker: „Natürlich ist es Kunst und Satire!“ Voß erinnert sich an heftige feministische Debatten im AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) an der Uni. Die Frage: ‚Ist Feminismus männerfeindlich?‘ beantwortet er mit: „Ist er nicht.“ Ist Maskulismus frauenfeindlich? „Es ist positive Männlichkeit; integrativ, inklusiv, gewaltfrei. Die kann es geben. Wir wollten ein Statement hinterlassen. Antifeministisch sind wir nicht. – Wir begreifen uns als überparteilich, alles außer Rechts. Von konservativ bis links ist alles bei EMMA willkommen. – Und es ist interessant zu gucken, welche Debatten daraus entstehen. Auch beim Friseur.“ Bärlauch: „Das fanden wirklich alle lustig. Und es ist traurig, dass er so schnell kaputt war.“ Wieso darf in Dresden ein Schwanz aus Schnee länger stehen, sogar mit Schleife? Und wieso wird er in Sottrum wiederholt umgehend umgehackt? Voß: „Die Ossis sind sexuell nicht so verklemmt. Die hatten ja auch nichts anderes zu tun. – Vielleicht hat unser Bürgermeister sich auch geärgert, dass man ihn weggemacht hat.“
Szenenwechsel: Das Kurhaus in Dangast am Jadebusen in Friesland ist ein gastronomischer Familienbetrieb in vierter Generation seit 1884. Oben vom Steindeich blickt man auf den Jadebusen und das Wattenmeer. Konzerte, Lesungen mit Rocko Schamoni, Axel Hacke, Heinz Strunk … Freiluftkino und temporäre Ausstellungen bilden das Kulturprogramm. Ansonsten genehmigt man sich hier einen heißen Kakao mit Sahne nach dem Spaziergang. Bekannt ist das Kurhaus für seinen legendären Rhabarberkuchen. Und seit 1984 auch für seinen ‚Phallus‘. Pünktlich zum 100jährigen Familienbetriebsjubiläum stellte der Künstler Eckart Grenzer seinen ‚Grenzstein‘ unten am Strand auf. Keiner legte den Phallus um. 4,6 Tonnen Granit sind standhafter, als sechs Maurerkübel voll Schnee. Die Bildzeitung, offensichtlich die Fachpresse für Schwänze, brachte ihn auf der Titelseite. Die Tagesthemen berichteten über den Skandal. Anwohner empörten sich. Dem Granitschwanz konnte das nichts anhaben. Er stand auf dem Privatstrand der Kurshausbetreiber Familie Tapken. Die Kurhausseite formuliert dazu: ‚Heute ist der Phallus, der je nach Wetterlage alle zwölf Stunden „seicht und zärtlich“ (Grenzer) oder auch stürmisch vom Meer umspült wird, längst kein Stein des Anstoßes mehr. Grenzers Plastik gehört zu Dangast, wie das Watt, das Wasser und der Wind. (…) Direkt an der Hochwassergrenze aufgestellt (Dem Land das Meer – Dem Meer das Land), versinnbildlicht das Meer das weibliche Element – demnach das Land das männliche. So kommt es durch die Gezeiten zur Begegnung, oder Umarmung der Geschlechter.“ – So romantisch kann Granit sein.
In den sozialen Medien hat der Schneedödel von Sottrum damals auch nicht lange überlebt. Bärlauch: „Das Problem war, dass die Facebookseite sofort gesperrt und gelöscht wurde.“ Voß: „Keiner von uns wollte das mit seinem offiziellen Profil verbinden. Ein neuer Benutzer als Hauptverwalter, der keine Freunde hatte, kann dazu führen, dass das ganze Profil als Spamaktion gesperrt wurde. Aber das wissen wir nicht.“ Der Twitteraccount hat auch nur eine halbe Stunde überlebt. Dann war er wieder draußen. Der Streuversuch ist misslungen. Voß: „Das läuft unter ‚zweifelhafter sexueller Inhalt‘. – Gewaltvideos hätten länger gehalten.“ Wer fand ihn anstößig? Wieso hat der Sottrumer Schwanz so viel Belustigung erzeugt? Was rührt man in Männern an? „Die feiern den.“ Und was in Frauen? „Die, die wir getroffen haben, haben den auch gefeiert.“ Und seine finale Stellungsnahme: „Wir sind pro Klimaschutz. Wir können das Thema nicht den Frauen überlassen. – Wir konnten seit drei Jahren nicht mehr bauen.“ Bärlauch: „Wenn Wintereinbruch ist und sich Schnee ankündigt, sind alle in Bereitschaft. Und irgendwann, wenn der Schnee gut ist, ist der Tag X da, und wir legen wieder los.“
Torftipp: 1) Humor. 2) Schleife drum und stehen lassen. 3) Kurhaus Dangast.