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Der Senior und sein Sex

Wenn der Druck nachlässt, kommt der Genuss.

„Die jugendliche Potenz spiegelt sich nur in der Mannigfaltigkeit ihrer Bewegung wider, nicht in ihrer Intensität", Paul weiß wovon er redet. Er ist 73 Jahre alt und immer noch sexuell aktiv. Paul schätzt am Älterwerden, dass er souveräner und stärker reflektiert ist. „Mit 57 konnte ich noch zweimal hintereinander. Aber ich muss mich nicht mehr beweisen. Beischlaf ist kein 100-Meterlauf. Es geht um die Wertschätzung. Dass man stundenlang nebeneinander liegen kann …" Leistung und Druck spielten im Alter bei reifen Männern keine entscheidende Rolle mehr. Es geht um Genuss und Erfüllung. „Beim Sex ist es wie beim Kuchen. Zwei Stücke schmecken auch nicht besser als eins. Aber du kannst dir den Magen verderben beim zweiten. Es zählt nicht die Häufigkeit beim Sex, sondern die Intensität. Sie ist im Alter stärker. Der Druck ist nicht mehr so groß." Mit anderen Männern könne man sich über Sex nicht unterhalten. „Die Männer protzen meistens drüber. Jeder ist der Beste und der Stärkste. Die reden viel zu selten über Sex. Sprüche ja, aber sonst …" Die Frauen seien im Paargespräch über Sex aber auch nicht viel besser. Meist wüsste die Freundin mehr darüber, wie es der Frau im Bett gehe, als der eigene Mann. „Bei meiner Elterngeneration waren Gespräche über das Vögeln nicht drin. Das wurde mit zu viel Scham gehandhabt. Selbst bei Ehepaaren." Das sei bei Paaren heute auch noch oft so.

Junge Spritzer

„Ich laufe nicht mehr mit erigiertem Glied rum wie vor 20 Jahren. Geduld spielt eine wichtige Rolle. Die hast du mit 20 oder 30 nicht." Paul erwähnt den Spruch ‚Wenn der Schwanz steht, steht der Verstand.' „Viele Männer glauben, wenn sie losrammeln, wäre das das Höchste für die Frau. Das kann dir jeder Gynäkologe sagen: Es gibt keinen vaginalen Orgasmus.“ – Lassen wir das einmal so stehen. – „Die jungen Spritzer meinen, wenn sie selbst einen Orgasmus haben, hat die Frau auch einen. Aber der weibliche Orgasmus läuft nur über die Klitoris ab mit Zunge oder Finger." Und auch beim Beischlaf dürfe die Klitoris stimuliert werden. Dass Petting Pubertierenden zugeschrieben wird, hält Paul für falsch. „Hau ruck zählt nicht. Petting und Vorspiel spielen auch im Alter eine große Rolle. Die Zeiten sind vorbei, wo wir sofort ins Bett gegangen sind, wenn wir uns getroffen haben." Spaziergänge, gemeinsame Zeit im Garten, Kochen – ein Treffen mit seiner Freundin findet heute anders statt, bevor es intim wird. Den Älteren würde die Sexualität von den Jüngeren oft nicht mehr zuerkannt. „Ich konnte mit 68 Jahren meinen Orgasmus eine Stunde lang zurückhalten. Wenn die jungen Frauen wüssten, wie viel besser der Sex mit älteren Männern ist ..."

Zärtlichkeit

Er hält Zärtlichkeit im Bett für wichtig. „Es gibt ja viele Frauen und Männer, die können mit Zärtlichkeit nichts anfangen. Da musst du funktionieren wie ein Auto. Ich war immer schon ein Schmuser. Viele Frauen sagen: ‚Das kenne ich so gar nicht.'" Eine schöne Rückenmassage bis zu den Füßen, sich fest in den Arm zu nehmen, Körperaustausch, Hautgefühl – das alles sei etwas Schönes. „Viele haben Angst vor Haut und Nacktheit." Er habe Viagra einmal aus Interesse probiert. „Ich hatte keinen Pimmel, sondern einen Prügel. Der war knochenhart. Das war uns sehr unangenehm. – Wenn du mit einem nicht ganz erigierten Glied einsteigst und im Schoß der Frau erigierst, das ist wunderschön." Die Standfestigkeit kriegt im Alter auch einen anderen Stellenwert. Wer dann immer noch hinter Leistungsidealen hinterherläuft, kann nur verlieren. Treue spielt für Paul eine Rolle. Eroberungen keine. „Flirten tue ich gern mit vielen Frauen: beim Einkaufen, im Café …, aber ohne sexuelle Absichten. Manchmal ist ein Flirt schöner als ein fürchterlicher Beischlaf. In einer Nacht kannst du eine Frau doch gar nicht kennenlernen."

Weiblicher Orgasmus

Paul will seine Freundin nicht überreden oder über den Haufen rennen. „Ich möchte ihre Bereitschaft haben. Sonst ist es für viele Frauen eine Qual." Zeit, Gespräche, Unternehmungen, Schmusen, Massagen - sich aufeinander einstimmen, bevor es intim wird. Eine Bekannte um die 30 habe sich bei ihrer Mutter beschwert: ‚Ich hatte noch nie einen Orgasmus.‘ Darauf habe die Mutter (64 Jahre, 4 Kinder) geantwortet: ‚Was bist du für eine Träumerin. Ich hatte auch noch nie einen Orgasmus.‘ Wo die Frau mit ihrem Orgasmus bliebe, das wüssten viele Männer gar nicht. „Ich habe beim Orgasmus immer den Frauen den Vortritt gelassen. Wenn sie eher dran ist als du, ist das etwas Wunderschönes. Der Druck ist bei den Männern viel stärker. Aber man kann die Orgasmusverzögerung mental steuern." Viele Frauen legten selber Hand an oder massierten sich die Klitoris. Manche meinten: „Ich brauche den Kerl gar nicht dazu." Diese Aussage sei sicherlich ein Ergebnis frustrierender Beziehungserfahrung. „In Orgasmusfülle und -bereitschaft sind uns die Frauen überlegen." So schätzt sich ein reifer Mann realistisch ein. Für erfüllte Sexualität müsse man die Frauen länger kennen. „Das geht nur in einer Liebesbeziehung." Auch Freundschaften mit Frauen wären leichter möglich im Alter. Eine erotische Stimmung könne in Ordnung sein, aber es müsse nicht zum Sex kommen. „Ich habe viele Freundschaften zu Frauen. Da läuft nichts. Mit Sex kann man da viel kaputt machen." Gegenseitige Wertschätzung spielt eine Rolle. Das Programm Fortpflanzung darf weichen. Die Kinder sind erwachsen. Der genetische Auftrag ist erfüllt.

Potenz

Die Zeugungsfähigkeit bleibt beim Mann bis zum Lebensende erhalten, während sie sich bei der Frau mit den Wechseljahren verabschiedet. Paul ist seit 30 Jahren sterilisiert. Seiner Erektion habe das nicht geschadet. Zeugungsfähigkeit und Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr hätten nichts miteinander zu tun. „Vitalität und Bewegung – auch mentale – sind gut für die Potenz." Nicht saufen, nicht rauchen und eine gute Haltung zum Leben ebenfalls, meint er. Fressen und Saufen sei oft Kompensation von Unzufriedenheit. „Wenn man nicht mehr neugierig ist, dann beginnt das Altwerden. Ich habe das Gefühl, dass dumpfe Menschen schneller altern. Älter werde ich seit meiner Geburt. Alt werden ist etwas anders. Die Geisteshaltung ist entscheidend dafür, wie jung man bleibt. Die Falten machen noch keine Menschen alt. Ein langweiliger Mensch hat auch langweilige Falten. Aber man schaut in die Augen. Wenn du mental gut drauf bist, hast du auch eine längere Potenz. Ich bin mit meinem Alter zufrieden trotz meiner Krebskrankheit. Die Nebenerscheinungen von der Chemo sind weg. Aber ich muss mit dem Radsport auf Rekonvaleszenz fahren." Paul hält sich mit seinem Rennrad fit. „Radfahren ist motorisches Meditieren. Probleme lösen sich in Luft auf. Andere fangen an zu saufen. Ich bin aufs Rad gestiegen. Das ist das Perpetuum mobile: Du gibst Energie und kriegst sie zurück. Bis letztes Jahr habe ich noch versucht, 250 Kilometer die Woche zu fahren."

Der Sexprofi

Bernie Zilbergeld, promovierter Sexualpsychologe aus New Jersey / USA: „Alle Männer lassen es im Laufe der Jahre langsamer angehen. Mit ihrer Sex-Besessenheit, ihrem unkontrollierten Wesen und der Leistungsfähigkeit des Penis lässt die jugendliche Sexualität (zwischen 13 - 25 Jahren, Anm. pas) die meisten Männer so nahe wie sonst nie mehr in ihrem Leben an das sexuelle Phantasialand herantreten." Das sei das vorherrschende Modell, das viele Männer als Maßstab anlegten. Zilbergeld weiter: „Und das ist ziemlich verhängnisvoll, da die Jugend schnell vorbeigeht und der größte Teil des Lebens noch vor uns liegt."

Unvermeidliche Fakten

Zilbergeld zählt Fakten zur männlichen Sexualität im Alter auf und kommentiert sie sympathisch:

  1. Es dauert länger, eine Erektion zu bekommen.

„Warum schließlich sollen wir eine spontane Erektion höher einschätzen als eine, die durch die zärtliche und liebevolle Zuwendung unserer Partnerin erzielt wird?"

  1. Die Erektionen sind vielleicht nicht mehr so voll oder so hart.

„Die bedauerliche Konsequenz ist, dass man sich über das Nichtvorhandensein (der 100%igen Härte, Anm. pas) Sorgen macht, anstatt das Existierende zu genießen."

  1. Es dauert länger, nach einer Ejakulation eine Erektion zu bekommen (längere Refraktärzeit).

Gute Zeit für Schmusereien.

  1. Man braucht länger, um zu ejakulieren.

„Sie können eine Erektion relativ lange aufrechterhalten und müssen nicht jedes Erlebnis mit einer Ejakulation beenden. Nur wenige Männer sehen darin ein großes Problem, aber viele sind überrascht und auch ein wenig beunruhigt. Sex ohne Orgasmus ist für sie ein ganz neuer Gedanke, an den sie sich erst gewöhnen müssen."

  1. Die Ejakulation ist weniger kraftvoll.

„Das bedeutet nicht, dass der Orgasmus nicht lustvoll ist."

  1. Man hat seltener Sex.

„Einige Männer sind mit 70 genauso oder fast genauso häufig sexuell aktiv wie mit 20. Und eine Studie berichtete, dass ungefähr 15 % der Leute über 65 in der untersuchten Gruppe sagten, dass sie öfter als je zuvor Sex hätten."

  1. Automatisches Funktionieren ist vielleicht nicht länger möglich.

„Erregung, Bedingungen, richtige Stimulierung werden entscheidend."

Der Sexualtherapeut zitiert eine Reihenuntersuchung, die feststellt, „dass der Mann zu keinem Zeitpunkt die Fähigkeit zur Erektion verliert." Und er schließt versöhnlich: „Das Älterwerden verändert vielleicht einiges, aber zerstört nichts."

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